Das wahre Morgen

– VIII –

Der Mond ist eine rauhe Geliebte

„Never underestimate the power
of human stupidity.“
Robert Heinlein

Natürlich dürfen in der Geschichte der Science Fiction auch die Frauen nicht unerwähnt bleiben. Denn wenn H. G. Wells und Jules Verne die Großväter des Genres sind, dann ist Mary Shelley auf jeden Fall die Oma.
Ihr „Frankenstein“ ist inzwischen auch mehr als einmal verfilmt worden, im Original erschien das Werk anonym im Jahre 1818. Insofern ist Ms Shelley möglicherweise sogar die Uroma der SF. Der Untertitel des Romans ist „Der neue Prometheus“ – über den Kerl hatte ich ja auch schon mal etwas geschrieben.
So wie der alte Prometheus den Göttern der Sage nach das Feuer geklaut hat, maßt sich der Mensch in Shelleys Roman an, Leben zu erschaffen aus unbelebter Materie. Oder in diesem Falle, ehemals lebender Materie, denn das berühmte Monster wird ja aus diversen Einzelteilen zusammengestrickt.
Der Wissenschaftler Frankenstein erzählt selbst seine Geschichte, die auch gleichzeitig Mahnung an die Zuhörer ist. Denn natürlich kann der Erfinder sein Werk nicht kontrollieren. Je nach Verfilmung wird er sogar ihr Opfer. Shelley erinnert die aufblühende wissenschaftliche Gesellschaft ihrer Zeit daran, daß man nicht alles tun sollte, nur weil man sich dazu in der Lage sieht. Das manche Dinge vielleicht besser unbenutzt bleiben sollten, auch wenn die Erforschung ihrer Möglichkeit sehr wohl faszinierend sein mag.
Im heutigen Zeitalter von genetischer Nanotherapie, pränataler Optimierung und möglicher Klonierung des Menschen erhält ihre Vision des Monsters aus der Retorte eine ganz neue Aktualität.

Auch ein weiterer Vertreter der SF sollte hier nicht unerwähnt bleiben. Nämlich – nach den Briten Shelley und Wells und dem Franzosen Verne – der Deutsche im Bunde. Kurd Laßwitz.
Der schrieb 1897 einen Roman namens „Auf zwei Planeten“. Diese beiden Welten sind Erde und Mars und hier kommt es zu einem Erstkontakt zwischen den Marsianern und den Menschen. Einem vorerst friedlichen Erstkontakt, im Gegensatz zum Ansatz von Wells. Zudem war der deutsche Schreiberling studierter Physiker und Mathematiker und griff in seinen Zukünften wesentlich weiter voraus als seine Kollegen. Außerdem schneidet Laßwitz sehr viel stärker gesellschaftliche Themen an.
Nach ihm ist der bedeutendste Preis benannt, den ein SF-Schreiber deutscher Sprache gewinnen kann. Denn der bereits erwähnte Hugo-Gernsback-Award geht nur an englischsprachige Schriftsteller.
Die elenden Angloamerikaner haben davon sogar zwei. Der andere Preis ist der der Nebula Award. Der Nebula unterscheidet sich vom Hugo dadurch, daß er ein Kritikerpreis ist. Der Hugo wird dagegen vom Publikum verliehen, also denjenigen, die SF-Romane auch lesen. Was diese Leute generell von beruflichen Kritikern unterscheidet.
Der erste Gewinner des Nebula-Award war im Jahr 1965 ein Mann namens Frank Herbert. Das Buch hieß Dune. Zu diesem quasi gilgamesch-mäßigem Epos der SF muß ich nichts weiter sagen. Außerdem würde der Platz hierzu nicht ausreichen. Über den Wüstenplaneten Arrakis kann man durchaus bei einer oder zwei großen Schalen Tee ein gepflegtes Wochenende debattieren, wenn einem der Sinn danach steht. Insgesamt ist es einer der größten Weltentwürfe der Science-Fiction-Literatur, die ich kenne. So wie sich jeder Autor von Fantasy von übernächtigten Klappentextschreibern unweigerlich mit Tolkien vergleichen lassen muß, bleibt der Vergleich mit Herbert keinem SF-Autor erspart, dessen Roman länger als 300 Seiten ist.
Eventuell wird der Fantasy-Schreiber auch mit Robert E. Howard verglichen, falls der Klappentextschreiber nicht nur schlaflos ist, sondern auch noch unter Drogen steht und das deshalb für eine völlig geniale Idee hält, auf die noch niemand vor ihm gekommen ist.
Mr Howard ist übrigens der Mann, dem wir das Universum von Conan verdanken. Ja, genau – der Conan. Conan der Cimmerier, besser bekannt als Conan der Barbar. Der Urvater aller muskelbepackten Schwertschwingerfantasy mit halbnackten Frauen auf dem Cover. Eine Mode, der sich in den 40er bis 60er Jahren auch die SF anschloß.

Fantasy, so ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, beschreibt immer Welten, von denen sowohl Autoren als auch Leser wissen, daß sie nirgendwo reale Existenzberechtigung aufweisen. Diese Entwürfe benötigen keine Wissenschaftlichkeit. Niemand fliegt hier zu den Sternen – jedenfalls nicht, so weit ich das Genre kenne – und niemand führt hier tiefgründige Gespräche über die philosophischen Untiefen von Sein oder Nichtsein.
Die Schwerter sind nicht aus Licht, sondern aus ordentlichem, handgetemperten Stahl bester Güte. Was die Muskeln der Träger erklärt, denn so ein Ding schleppt man nicht ständig mit sich herum, ohne breite Schultern zu kriegen.
Völlig üblich ist hingegen in der Fantasy die Existenz von Magie in den jeweiligen Welten. Zauberer und Magier mitsamt ihren Tricks und Kniffen sind geradezu essentielles Beiwerk solcher Geschichten. Darum ist Tolkien auch Fantasy. Weil Gandalf. „Das wahre Morgen“ weiterlesen

Das wahre Morgen

– II –

Das Summen von Bienen

,,Die Vergangenheit ist passé, Darling.
Sie lenkt von der Gegenwart ab.“
Edna Mode

Das auf entsprechenden Festivitäten präsentierte Mittelalter macht auf mich in etwa denselben Eindruck wie Pornographie: Soll geil machen auf die Sache, aber kein Mensch mit mehr als drei Hirnzellen kann das für das echte Leben halten.
Alle reden in diesem Zusammenhang immer von Frauen-Diskriminierung. Das Männer reine Muskelberge sind, die möglichst lange den Ständer hochhalten müssen, damit sich die jeweilige Dame entsprechend in Szene rücken kann – oder die Szenen – wird von feministischer Seite seltsamerweise nie kritisiert.
Trotz dieser offensichtlichen Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion haben Pornos meines Wissens großen Zulauf. Ein Drittel des Netzwerkverkehrs im Internet besteht aus pornographischen Inhalten, schätzt man in diversen Studien. Was dem Wort „Verkehr“ eine quasi völlig neue Bedeutung gibt. Man könnte auch sagen, das Internet wäre nicht das, was es heute ist, gäbe es keine Pornographie. Und damit wäre auch unsere Welt nicht so, was sie heute ist. Manchmal haben Wirkungen Ursachen, an die alle, die davon profitieren, nicht erinnert werden möchten.

Im Grunde ist das auf Burgfesten oder anderswo präsentierte Mittelalter sogar noch schlimmer. Es ist Softporno. Die Dinge, die wirklich interessant sind, werden also nur angedeutet, nicht wirklich gezeigt. Eine Art romantischer Wiedererweckung einer Zeit, die so weit zurückliegt, daß niemand ohne Expertenwissen genau sagen kann, ob diese Interpretation, die sich hier vor meinen Augen abspielt, nicht doch der Realität entspricht oder einmal entsprochen hat.

Die Kräuterfrau beispielsweise kann auf ihren Führungen mit profundem Fachwissen aufwarten, da hilft mir das eigene Biologiestudium weiter. Welche Kombination von Pflanzen sich wie auf welches Befinden auswirkt, meist unter Hinzufügen von Alkohol, ist eine Wissenschaft für sich. Nur wurde die Wissenschaft eben erst später erfunden. Vor zweitausend Jahren wurde dieses gesammelte Wissen von Druidenmund zu Druidenohr weitergegeben, wie wir aus Asterix wissen. Das kommt davon, wenn man keine Schriftkultur hat.
Wenn man dann eine entwickelt, kratzen Menschen Rezepte für Tränke und Tinkturen und anderes Zeug auf Pergament. Dazu braucht es übrigens Tinte. Diese wiederum ist eine Erfindung, die irgendwann im 4. Jahrtausend vdZ gemacht wurde und damals aus Ruß bestand, vermischt mit Gummi arabicum, also dem Harz diverser Baumarten. Dieses Zeug ist kein Verwandter des umgangssprachlichen Gummis, denn das ist Naturkautschuk, also abgezapfter Baumsaft von Hevea brasiliensis, dem Kautschukbaum, dessen ursprüngliche Heimat in Brasilien liegt, wie der Name zart andeutet.
Irgendwann im 3. Jahrhundert ndZ kam jemand auf die Idee, Galläpfel auszukochen. Wer wie ich als Kind noch Nahkampfkontakt mit Bäumen hatte, kennt diese Dinger. Mittelgroße, grünbraune Schwellungen an Blättern, Rinde oder Zweigen von Eichen. Die wiederum sind die Folge von Stichen der Eichengallwespe, die im Herbst ihre Eier in diesen Pflanzen ablegt, was als Abwehrreaktion zur Bildung der Gallen führt. Beim Rumklettern im Wald hängt man früher oder später an einem Ast, an dem es diese Beulen gibt.
Wenn man diese Dinger sammelt, zerstampft und zerkocht, entsteht Gallussäure. Dazu gibt man Eisenvitriol. Rein chemisch ist das Eisen(II)-Sulfat und das wiederum gewann man, indem man pulverisiertes Eisen in zwanzigprozentiger Schwefelsäure aufkocht. Vermischt mit Wasser und dem Gummi Arabicum – das im Gegensatz zum Latex wasserlöslich ist – entsteht das, was man über Jahrhunderte als Dokumententinte benutzt hat. Das Wort „Kanzleitinte“ spricht für die juristische Festigkeit des Stoffs.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer im 3. Jahrhundert auf dieses Rezept gekommen ist. Wir wissen nur noch, daß es irgendwer gemacht haben muß, sonst gäbe es noch weniger erhaltene Aufzeichnungen von Anno dunnemals, als das ohnehin schon der Fall ist.
Allerdings muß man diese Aufzeichnungen dann auch noch übersetzen, denn ein Rezept aus der damaligen Zeit liest sich vermutlich heute sehr seltsam. Überall wimmelt es in alten alchemististischen Kochbüchern von Drachenhirn, Drachenblut, Einhorn-Horn und Gewichten, die entweder Prise heißen oder auch Gran. Das stammt aus dem Altrömischen, nämlich „granum“ für „Weizenkorn“. Nicht das Getränk, für ordentlichen Schnaps muß man die richtige Art der Destillation erfunden haben und das war erst ab etwa dem 9. Jahrhundert der Fall. Das englische Wort „grain“ stammt aus dieser Wurzel.
Dummerweise ist ein „gran“, ebenso wie das griechische „stadion“, das ich schon mal vor langer Zeit erwähnte, eben ein uraltes Dingsbums und kommt außer in einer römischen auch in einer englischen, französischen und auch deutschen Variante im Mittelalter vor. Wobei die deutsche Variante auch nicht einheitlich ist, denn das, was mal Deutschland werden sollte, bestand ja aus mehr Kleinstaaten, Fürstentümern, Herzogtümern und Eigentümern, als es heute Nationalstaaten gibt. Gemeinsam ist allen Versionen, daß sie sich im Bereich von zweistelligen Milligrammen bewegen, aber das war es dann auch schon.
Um also mittelalterliche Rezepte überhaupt entstehen lassen zu können, brauchte es erst einmal das Rezept. Dann das Pergament. Die entsprechende Tinte. Jemanden, der auch schreiben konnte. Und um das nachzuvollziehen, braucht man ein einheitliches Meß- und Maßsystem. Heute benutzen wir wir Meter, Zentimeter und auch sonst überall recht dezimale Einheiten, aber das hat eine ganze Weile gedauert. Noch 1973 wehrten sich die skurrilen Engländer gegen die Einführung eines dezimalen Münzsystems, weil sie das für zu kompliziert hielten. Von immer noch vorhandenen imperialen Füßen und Zöllen reden wir da mal gar nicht.

Mittelalter als Porno. Das vermittelte Bild entpricht nur recht bedingt der Realität.

Alleine hier wird also zweierlei deutlich: Schon zu mittelalterlichen Zeiten gab es keine „Technologie“. Auch damals mußten mehrere Dinge zusammenkommen und ineinandergreifen, um etwas Neues zu erschaffen. Wie beispielsweise Eisengallustinte, die uns auf unzähligen Dokumenten begegnet. „Technologie“ im singulären Imperativ der heutigen Zeit existiert nicht und hat so auch nie existiert.
Zweitens besteht unsere immer als so modern verkaufte Wissenschaft oft aus Dingen, die wir schon seit zig Jahrhunderten kennen und praktizieren, deren Grundlagen Menschen aber nicht verstehen oder verstanden. Bis sich dann endlich mal einer hinsetzt und sich fragt: „Warum?“
Die erwähnte Tinte ist nämlich ein eher wässriges Zeug, mit dem sich ganz gut schreiben läßt. Aber sehen kann man sie nicht besonders gut. Das ändert sich erst, wenn die Tinte trocknet. Denn erst dann entsteht die charakteristische tiefschwarze Farbe. Um das zu verstehen, muß man aber vorher die Chemie erfunden haben und auch den Sauerstoff als Element kennen. Das war im 18. Jahrhundert der Fall, als ein Mann namens Carl Wilhelm Scheele eben diesen Sauerstoff entdeckte und ein Franzose namens Lavoisier dann nachwies, daß bei einer Verbrennung Luftsauerstoff gebunden wird. Damit widerlegte er die bis dahin noch weit verbreitete Theorie vom Phlogiston und wurde zu einem der Väter der modernen Chemie. Ich hatte das mal vor einer Weile erwähnt.
Und exakt das passiert auch mit der Tinte. Sie nimmt Luftsauerstoff auf, sprich, sie oxydiert. Oder verbrennt. Der allseits bekannte Rost auf eisenhaltigen Metallen ist das Produkt einer Verbrennung, wenn man von spektakulären Flammenerscheinungen absieht.
Damit verwandelt sich das Eisen(II) aber in Eisen(III) und verfärbt sich entsprechend. Damit wäre also die Frage nach dem „Warum“ geklärt. Außerdem hilft es natürlich, wenn man rausfindet, daß Drachenhirn nichts anderes ist als Kampfer. Dieser kam zu mittelalterlichen Zeiten aus dem fernen Asien statt aus dem Supermarkt, und das waren unter anderem die Gegenden, über die auf Weltkarten gerne geschrieben stand: Hier hausen Ungeheuer.

Bild 1: Ein Blick auf das wahre Gestern.
Mittelalterlicher Alltag war vor allem eines: Anstrengend. Der Gerber entfernt hier das Fleisch von einem zukünftigen Stück Leder. Ein Prozeß, der heute mit diversen Chemikalien und von Maschinen automatisch erledigt wird. Früher erforderte dieses Handwerk profundes Fachwissen. Heute kennen wir Bilder von trocknendem Leder aus offiziell weniger fortschrittlichen Ländern wie Marokko.

Die Stadt, in der ich lebe, war mal ein Zentrum florierender Lederindustrie. Der Typ, der den Lederpanzer verkauft, den ich letzte Woche erwähnte, hat diverse Rezepturen alter Tage studiert, um eine Methode zu finden, ordentlich gegerbtes Leder für seine Zwecke herzustellen. Zumindest sagt er das. Nach einem Blick auf seine Hände neige ich dazu, ihm das sogar zu glauben. Das Färben des Materials stellt nämlich auch schon wieder ganz eigene Anforderungen. Und ebenso wie die Gerberlauge hinterläßt es Spuren.
Ein Prozeß, der in früheren Zeiten von ausgebildeten Handwerksmeistern durchgeführt wurde, ist im 19. Jahrhundert endgültig industrialisiert worden, wie so viele andere. Gerberlauge wurde nicht mehr alchemistisch zusammengebraut, sondern nach ordentlicher chemischer Analyse auf das Gramm genau angemischt. Allerdings bin ich mir sicher, daß die damaligen Chemiker hierbei anfangs auch auf die alchemistischen Zunftmeister zurückgreifen mußten. Denn ansonsten wird es spätestens bei der Übersetzung von Mengenangaben aus alten Dokumenten sehr amüsant im Bottich, könnte ich mir vorstellen.
Der Geruch des Gerbens und Färbens führte dazu, daß es in jeder Stadt in der richtigen Handelsregion und mit den richtigen mittelalterlichen Straßenzügen eine Färber- oder Gerbergasse gibt. Gerberlauge enthielt zu antiken Zeiten so leckere Dinge wie Gänsemist. Auch Urin natürlich, denn die darin enthaltene Harnsäure ist überaus nützlich. Meist liegen diese Gassen in der Nähe eines Flußes oder Flüsschens, das natürlich heute ein Abwasserkanal unter der Straßendecke sein kann.

Wir haben durch Wissenschaft viel gewonnen. Aber wir haben womöglich noch mehr verloren.

Unsere Art, die Dinge zu erledigen, ist es längst, andere Menschen diese Dinge erledigen zu lassen. Zug um Zug hat sich im Rahmen der Industrialisierung und Verwissenschaftlichung unsere Gesellschaft von Tätigkeiten befreit, die jahrhundertelang zum Alltag gehörten und die sehr viele Menschen beherrschten. Seltsam nur, daß wir dann heute nicht alle viel mehr Zeit für andere Dinge haben. Was wiederum daran liegt, daß die „Befreiung“ natürlich keine war.
Wir haben heute Freizeitplaner, Animateure am Urlaubsstrand und Seminare für Schlafmanagement. Das Letztere habe ich nicht erfunden.
Im Namen der Perfektionierung des Selbst wird sogar das Schlafen „optimiert“, damit wir hinterher um so besser funktionieren können. Die heutige Industriegesellschaft verlangt keine Teilhabe, kein Kopfzerbrechen über lokale Dinge. Sie erwartet Funktion.
Die angebliche Befreiung von den produktiven Lasten des alltäglichen Daseins war in Wahrheit ein Raubzug. Schritt für Schritt stahlen immer größer werdende Institutionen der menschlichen Gesellschaft ihren Kern, um ihn ihr dann anschließend zurückzuverkaufen. An guten Tagen mit Rabatt.

Hat der Methändler seinen Honig von eigenen Bienen? Oder hat er den irgendwo eingekauft? Von einem Imker? Oder womöglich sogar im normalen Supermarktregal?
Was ist mit den Färbemitteln für Leder und Stoffe? Setzen die Händler die selbst an? Oder bestellen die Mittelaltertypen hier diese Dinge nach Katalognummer im Internet bei BASF oder im Baumarkt?
Ich weiß es nicht. Ich sehe hier in den Marktständen nur die Endprodukte des gespielten Mittelalters. In dem waren Bienen waren übrigens nicht in rechteckigen Waben gefangen. Schon lange vor Erfindung des Mets oder der Destillation von Alkohol waren Menschen scharf auf Bienen. Wir wissen aus alten Höhlenmalereien, daß Bienen bereits vor über 10.000 Jahren von unseren Vorfahren belästigt wurden, um an den Honig heranzukommen. In Zentralanatolien finden sich Hinweise auf gezielte Zucht etwa im 6. Jahrtausend vdZ, und ganz sicher nachgewiesen ist das Geschäft der Imkerei dann etwa ab dem 4. Jahrtausend vdZ in Ägypten.
Der alte Grieche Hippokrates, den ich letzte Woche erwähnte, schrieb bereits etwas über die fiebersenkende Wirkung von Honigsalben und sagte, daß Honigwasser bei Athleten die Leistung steigern soll. Womit klar ist, daß auch Doping keinesfalls eine Erfindung der Neuzeit ist.
Gehalten wurden Bienen in Körben oder in der sogenannten „Klotzbeute“. Das ist nichts anderes als ein Stück hohler Baumstamm, in den man das Bienenvolk einziehen ließ. Oder die Bienen zogen freiwillig ein und der Bienenjäger sägte dieses Stück Baum dann eben ab und nahm es mit. Einschließlich der Bienen. Der Nachteil dieser ursprünglichen Haltungsmethode ist, daß man nur an den Honig herankommt, indem man die Waben zerstört. Und in denen wohnen ja die Bienen.
Also ersann man später Bienenkästen und mit dem 19. Jahrhundert, der Entwicklung von Wechselrähmchen und anderem Werkzeug, kam die Bauform auf, die man heute allgemein unter „Bienenstock“ so versteht: Ein kastenförmiges Dingsbums, das der Imker öffnen kann und aus dem dann die in Rahmen hängenden Waben entnommen werden können.

Tatsächlich sind die Waben hier sogar vorgebaut, es werden nämlich ausgeschleuderte Waben in die Rahmen eingesetzt und die vollen Waben entnommen. Der Vorteil ist, daß die Bienen dann eben keine neue Wohnung bauen müssen. Dann muß man ja erst wieder die Möbel zurechtrücken und sich überlegen, wo genau der Kamin hin soll und solche Dinge. So etwas kostet Zeit und Energie. Aber die hierzulande übliche westliche Honigbiene Apis mellifera soll ja Honig produzieren und nicht im Baumarkt die neuen Tapetenmuster betrachten. Also kriegen heutige Arbeitsbienen ihre Werkswohnung vom Imker gestellt.
Durch die Industrialisierung der Bienenzucht hat man den Tierchen also etwas weggenommen, damit sie optimaler Honig produzieren können. Statt Bienen da zu halten, wo sie etwas zum futtern finden, werden die Viecher heute in großen Kästen an die Ränder von Rapsfeldern gestellt, die sie dann innerhalb weniger Tage abernten. Danach geht es weiter zum nächsten Kunden. Monokulturbienen ernten Monokulturhonig. Im Schichtbetrieb. Fast möchte man meinen, hinter dem Flugloch das Klacken der Stechuhr zu hören.

Das angeblich so viel primitivere Mittelalter unterscheidet sich nicht wirklich von unserer Zeit, was Komplexität angeht. Im Umkehrschluß bedeutet das aber auch, daß unsere Zeiten nicht einfacher sind als die Zeit vor sechshundert Jahren. Die industrielle Skalierung unserer Gesellschaft läßt es nur so erscheinen.
Dinge, die früher Haushalte oder Zünfte erledigten, werden von Maschinen erledigt und von Großkonzernen. Und das auch nicht am Rande des Flußes, sondern womöglich fünfzehntausend Kilometer entfernt. Deswegen gibt es heute keine neuen Gerber- und Färbergassen mehr. Jedenfalls nicht in unseren Städten.
Die Wolle der hier ausliegenden Stoffe muß vorher mal von einem Schaf getragen worden sein. Zumindest nehme ich das für das Mittelalter mal an. Baumwolle ist eine Sache späterer Jahrhunderte, jedenfalls hier in Europa. In einer Gegend wie Indien ist Baumwolle und ihre Gewinnung eine Sache, die sich bis ins 6. Jahrtausend vdZ zurückverfolgen läßt.
Hier in Europa bedeutet Wolle normalerweise das Vorhandensein von Schafen. Außerdem kann man die Schafe auch noch essen, ganz im Gegensatz zur Baumwolle, die ist nämlich giftig. Baumwolle wiederum läuft nicht weg, erfordert also keine Hirten. Dafür muß man Schafe nicht gießen. So hat jede Methode ihre Vor- und Nachteile. Entscheidend ist aber, daß beide Vorgehensweisen eben Wolle produzieren und die lokalen Bedingungen berücksichtigen.

Auch Leder muß vorher irgendwann einmal zur Verpackung eines Tieres gedient haben. Eines Schafs, zum Beispiel. Wahlweise auch einer Kuh, eines Schweins oder einer Ziege. Irgendwer muß das Tier überredet haben, diese Verpackung aufzugeben, damit man daraus Leder machen kann.
Ob heute oder vor sechshundert Jahren – ganze Lieferketten und Herstellungskomplexe müssen hier ineinandergreifen, um am Ende die maßgefertigten Schuhe aus dem Leder herstellen zu können. Oder eben die Lederpanzerung.
Leder erfordert beispielsweise auch Salz zum Gerben. Außerdem wird das Tier, das seine Verpackung gespendet hat, zusätzlich noch, in mundgerechte Happen zerteilt, seinen weiteren Weg nehmen. Ohne Salz aber war zu mittelalterlichen Zeiten kein Fleisch haltbar zu machen. Außer durch Räuchern vielleicht.
Salz hat ganze Städte reich gemacht und den Wohlstand von Regionen begründet. Ganze Generationen von Kaufleuten in den Städten haben ihr Geld damit verdient und wurden dabei immer reicher und mächtiger. Bis schließlich Könige und Kaiser sich da Geld geliehen haben, wo es am meisten davon gab. Dafür wiederum bekamen die Städte, die Zünfte und Gilden Sonderrechte und Vergünstigungen. Wirkungen haben Ursachen, die oft nicht sofort ersichtlich sind. Europa zur Zeit des 16. Jahrhunderts aufwärts. Die erste Renaissance.

Mit ungebrochener Begeisterung verkaufen uns Experten ein endlos verlängertes Heute als Zukunft. Ich schätze, das Wahre Morgen wird sehr viel mehr Gestern enthalten.

Unsere Zeit ist nicht grundlegend anders als das Damals™, das hier so schön zur Schau gestellt wird. Immer lauter werden dieser Tage die Verkündungen der technologischen Hexenmeister des 21. Jahrhunderts. Das Credo des endlosen, des weltverbessernden Fortschritts ertönt überall.
Kaum ist die Concorde tot, verkünden neue Firmen dieser Tage den Bau eines neuen Modells. Eine Firma namens Boom hat Bestellungen eingesammelt für einen Nachfolger des Überschallfliegers. Nach einem Absturz im Jahre 2000, kurz nach dem Start vom Flughafen Charles de Gaulle bei Paris, wurde der Flugbetrieb mit dem Vorgänger 2003 endgültig eingestellt.
Aber die neue und verbesserte Concorde wird natürlich schneller sein. Und leiser. Und weniger Sprit verbrauchen.
Nichts daran wird jedoch etwas an der Tatsache ändern, daß der Kerosinverbrauch pro Kopf immer noch sehr viel höher sein wird als bei herkömmlichen Flugzeugen. Ganz besonders, weil der neue „Boom Jet“ lediglich 55 Sitzplätze bieten soll. Oder besser, „bis zu“ – man kann gespannt sein, was das am Ende bedeuten wird. Die ersten Flüge sollen 2023 stattfinden. Man darf ebenfalls gespannt sein, was Kerosin dann kosten wird, das ja, aus unerfindlichen Gründen, in den Industriestaaten oft unversteuert verballert werden darf.
Nichts daran wird die Tatsache verändern, daß die alte Concorde, trotz damals völlig anderer Spritpreise, niemals kommerziell erfolgreich war. Ich sehe keinerlei Grund, warum ein neues, verbessertes Modell an diesem Punkt etwas ändern sollte.

Der Mythos des Fortschritts hat außerdem so etwas wie Überschallreisen für alle versprochen. Das war doch immer die Kernsaussage des ewig wachsenden Kapitalismus, wenn ich das recht im Kopf habe. Immer mehr für alle.
Ich habe natürlich keine Ahnung, was ein Ticket in der neuen Concorde kosten wird, aber ich bin mir absolut sicher, daß es für die meisten Durchschnittsverdiener, seien sie Europäer oder Amerikaner, eindeutig außerhalb ihrer finanziellen Reichweite liegen wird.
Exakt da liegt die Marktlücke, die der neue Betreiber entdeckt zu haben glaubt. Der überschallschnelle Flug soll vor allem gut betuchte Geschäftsleute anlocken, die es mit den Kosten nicht so genau nehmen müssen oder wollen. „Gut betucht“ ist übrigens ein Ausdruck, der ebenfalls aus mittelalterlichen Zeiten stammt. Denn gutes Tuch mit guter Färbung war teuer.
Ich weiß nicht, ob dem neuen Anbieter des superschnellen Reisens das schon einer gesagt hat – aber exakt das gleiche Geschäftsmodell war auch schon für die alte Concorde geplant nach dem Willen der Betreiber. Nur hat es kommerziell niemals funktioniert.
Auch auf der anderen Seite des Fliegens, dem touristischen Massenviehtransport, sieht es nicht besser aus. Airbus hatte seinen A380 vor einigen Jahren vorgestellt, um die Kosten pro Passagierkilometer zu senken.
Diese Kalkulation kann aber nur funktionieren, wenn man eben immer mehr Passagiere durch die Luft befördert. Und exakt dieses Konzept geht nicht auf, wie es aussieht. Denn die Neubestellungen bleiben aus, Airbus muß die Produktion zurückfahren und stellte deshalb neulich eine Version seines Superfliegers vor, in der mit technischen Kniffen Sprit gespart wird. Außerdem will man die Bestuhlung ändern – damit noch mehr Menschen in das Flugzeug passen.
Was in meinem Kopf unmittelbar zu der Frage führt, ob man dann nicht wieder weniger Flugzeuge braucht. Wenn man alle Leute, die von Frankfurt/Main nach New York fliegen wollen, in einen Flieger kriegt, dann langt ein Flug pro Tag ja schließlich völlig. Aber vielleicht habe ich das mit dem ewigen Wachstum auch nicht ganz verstanden, schließlich habe ich ja nicht Ökonomie studiert.

Immer wieder versuchen die Verkünder des Forschritts dasselbe. Und immer wieder wundern sie sich, wenn ihr Konzept scheitert.
Die NASA betreibt sogar ein ganzes Programm mit „X-Planes“ verschiedener Hersteller. Das X steht hierbei für „Experimental“, Star-Trek-Fans wissen Bescheid.
Das ganze läuft sogar unter der Rubrik „Green Aviation“, also „grüne Luftfahrt“.
Erklärtes Ziel ist es, den Spritverbrauch um die Hälfte zu senken und auch den Lärm der Flieger auf die Hälfte der heute niedrigsten Werte zu drosseln.
Ich hätte zur Erreichung dieses Ziels ein recht pragmatisches Konzept: Man reduziere die Anzahl aller Flugbewegungen um mindestens 50 Prozent. Der Forschungsaufwand hierfür ist exakt Null, die Umsetzung relativ zu den finanziellen Mitteln recht unproblematisch.
Aber damit würde man von der Linie der immer besseren Zukunft durch neue „Technologie“ abweichen. Im Grunde bedeutet mein Vorschlag, daß so etwas wie Fliegen für einen Großteil der Weltbevölkerung wieder das würde, was es mal war. Ein Spielzeug des Jet-Set. Der hieß nicht umsonst so.
Der Witz ist, das exakt diese Entwicklung trotzdem eintreten wird, ganz egal, wer welches Programm unter welchem Namen betreibt, um Menschen in kommerziellen Mengen durch die Luft zu befördern. Die Zukunft der kommerziellen Luftfahrt in der Langen Dämmerung ist ganz klar zu sehen: Sie hat keine.

Bald schon, so verkünden die Sirenengesänge, bald werden wir zum Mond fliegen. Schon wieder. Ich könnte schwören, wir wären gerade erst dagewesen. Und dann zum Mars. Und bis dahin gibt es vorbereitete Kartoffelscheiben in der Folientüte, aus denen man etwas machen kann, daß ein bißchen, aber nicht völlig anders schmeckt als Bratkartoffeln.
Die Zukunft der Zivilisation wird gerettet werden durch Fusionsstrom. Oder ewiges Leben dank Nanomedizin. Oder dem sonstigen Heilsversprechen du jour.

Bild 2: Blick auf das erfundene Morgen.
Bitte fliegen Sie weiter, es gibt viel zu sehen. So stellen sich die NASA und Boeing die Zukunft der Luftfahrt vor. Wir werden weniger Sprit verbrauchen. Wir werden leiser sein. Aber wir werden auf jeden Fall ständig überallhin fliegen. Daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen.
Quelle

Ich kehre aus Gefilden des 21. Jahrhunderts zurück in meine unmittelbare Umgebung. Diese Softporno-Version des Mittelalters, durch die ich hier spaziere, ist also trotz allem nicht mit dem wahren Gestern zu vergleichen. Das Leben im Mittelalter war unendlich viel komplexer als dieser Ausschnitt, der mir hier von wohlwollenden Menschen präsentiert wird.
Ebenso wie unsere Welt viel komplexer ist, als wir in unserem Alltag oft überhaupt wahrnehmen oder realisieren. Oder realisieren wollen.
„Sieh nicht genau hin“, flüstern die Sirenengesänge. „Frag nicht, wo all das herkommt, was im Regal liegt. Kaufe und freue dich. Aber stell keine Fragen.“
Wie die Bienen bekommen wir alles gestellt, solange wir Honig produzieren.
Immer mehr Menschen hören diesem Versprechen des besseren und schnelleren Morgen nicht mehr zu. Sie wollen es nicht mehr hören. Aber noch wollen sehr viele nicht zugeben, daß sie durchaus fundamentale Zweifel hegen an der Richtigkeit der Gebete, die tagtäglich auf uns einströmen. Sie glauben nicht mehr, aber noch immer gehen sie in die Kirche.
Hier und da stellen Menschen Fragen an die Priester der High-Tech-Dreifaltigkeit aus Ewigem Fortschritt, Ewigem Wachstum und dem Mythos der Einzigartigkeit.
Fragen wie zum Beispiel: „Was sollen wir eigentlich auf dem verdammten Mars?“
Diese Frage stelle ich. Ein Science-Fiction-Fan und durchaus begeisterter Technologie-Fan. Ich bin eindeutig kein romantisierender Mittelalterverherrlicher. Mittelalter war stellenweise ganz schön hart. Eindeutig kein Softporno. Mehr so BDSM.

Warum also interessieren sich immer mehr Menschen für die Gestalt des Gestern und Vorgestern, einige eher als Konsumenten, andere wiederum als halbgare Kopisten – aber sehr viele durchaus mit Einsatz, Forschungswillen, Leidenschaftlichkeit und einem Arbeitsaufwand, der weit über ein bloßes Hobby hinausgeht?
Wenn alles immer schöner wird, immer besser, immer smarter, immer nützlicher – warum zur Hölle sitzen Menschen in selbstgewebter Kleidung um ein Lagerfeuer, trinken Bier aus eigener Herstellung, während sie nicht ihr Smartphone benutzen, keine Selfies knipsen und nicht fernsehen?
Nun, die Fröhlichkeit dieser Menschen erklärt sich auch daraus, daß irgendwo, nicht allzuweit entfernt, das 21. Jahrhundert wartet. Irgendwo wartet das Auto, in dem das mittelalterliche Geraffel nach ein paar Tagen gestapelt wird, um damit zum nächsten Karneval zu fahren.

Die Tatsache aber, daß sie überhaupt hier sind, ist Teil eines Prozesses, der typisch ist für eine Kultur, die in ihre akute Verfallsphase eingetreten ist. Wenn die Sirenengesänge nicht mehr verfangen, wenn die Narrative einer Zeit sich mehr und mehr als unzulänglich oder schlicht und einfach auch als erstunken und erlogen erweisen, beginnt eine Gesellschaft kollektiv, auf den Druck steigender kognitiver Dissonanz zu reagieren.
Es ist keine bewußte Handlungsentscheidung, zumindest bei den Meisten. Einige kommen hierher, um die Spinner zu betrachten im Mittelalter-Zoo. Wie Jurassic Park, nur ohne Dinos. Und abends sitzen dann alle wieder vor dem Tatort oder gucken Dokus über eine Zukunft voller Fusionsenergie und fliegender Autos und Marsflügen.
Die anderen sitzen am Lagerfeuer in dem Unbewußtsein, daß die Zukunft wohl doch keine High-Tech-Zivilisation mit Weltraumkolonien in fernen Sonnensystemen sein wird. Aber sie verdrängen die notwendige Frage, wie diese Zukunft denn dann aussehen wird.

Bienen bauen ihre Waben als gleichmäßige Sechsecke. Aber in kastenförmigen Behältern bauen sie die Ecken nie aus, wenn sie das vermeiden können. Im Winter oder auch in Baumhöhlen finden sie sich in traubenförmigen Gebilden zusammen. Unsere moderne, bessere, schnellere Art der Bienenzucht hat ihnen etwas weggenommen, dem sie normalerweise ganz natürlich folgen würden. Wir haben alles perfekt optimiert, auf höchste Effizienz getrimmt. Für die Industriegesellschaft, nicht für die Bienen. Das ist einer der Gründe, an denen diese Tierart ausstirbt.
Die Form des wahren Morgen wird auch kein neues Mittelalter sein. Wir müssen Dinge wiederentdecken, denen menschliche Gesellschaft ganz natürlich gefolgt ist. Es ist an der Zeit, menschliches Denken und Empfinden aus dem Kasten der industriellen Zivilisation herauszuholen. Im Gegensatz zu den Bienen haben wir eine Wahl.. Sollten wir beschließen, lieber eingesperrt bleiben zu wollen, werden wir das nicht überleben.

 


Das Beitragsbild stammt aus dem Bildband „Forest Punk“ von Dieter Klein. Weitere Bilder und Hintergrund zu Mann und Fotos lassen sich hier finden.

Weihrauch und Glitzerstaub

,,The study of economic lift-off is well developed; touch-down has not been considered.
There is an asymmetry here which would invite comment if applied to aviation.”
David Fleming

Nicht nur einen, nicht nur zwei, nein – gleich sieben erdähnliche Planeten haben die unermüdlichen Planetenjäger auf der Erde in der vorletzten Woche entdeckt.
Donald Trump – immer noch Präsident der USA, jedenfalls offiziell – hat die wunderbare NASA gebeten, ihre neue Superrakete doch bitte mal schneller auf Vordermann zu bringen als geplant. Also 2019 und nicht erst 2021. Die Erbsenpistole der Demokratie schreibt hierzu einen Artikel unter dem ganz großartigen Titel „Donald Trump will schnellstmöglich zum Mond“. Nun, wenn das der Wahrheit entspräche, sollte man dem Mann diesen Wunsch erfüllen.
Leider handelt es sich um dieselbe NASA, der permanent Gelder gekürzt werden, da Mitglieder der Republikaner es für völlig unnötig halten, mit Satelliten die Erde zu beobachten und somit etwa Daten über die Eisbedeckung am Nordpol zu gewinnen oder derartig unsinniger Kram. Wissenschaft – pah! Niemand braucht so etwas.
Es ist auch derselbe Präsident, der den US-Rüstungsetat um 54 Milliarden Dollar erhöhen will. Grandiose und absolut fantastische Begründung: „Wir müssen wieder Kriege gewinnen.“ Denn die US-Armee sei durch die vielen Finanzkürzungen völlig „ausgelaugt“. Keine weiteren Fragen.
Obwohl – doch. Eine hätte ich da schon. Welche Kriege eigentlich?
Und hat irgendwer dem Kerl im Oval Office mal erzählt, daß die USA mehr Geld ausgeben für ihr Militär als die nächsten sechs Nationen auf der Liste der rüstenden Ritter? Darunter sind dann so Zwergstaaten wie China oder Rußland. Dieser Typ weiß echt genau gar nichts über die Verhältnisse außerhalb seines Kopfes, also der realen Welt. So sad!

Die von Tesla-CEO Elon Musk aus der Taufe gehobene private Weltraumfirma Space-X kündigte derweil an, man wolle ab 2018 Touristen zum Mond bringen. Beziehungsweise, mit denen um den Mond herumfliegen. Natürlich dürfte ein derartiges Ticket ein exorbitantes Sümmchen kosten, denn das Verlassen des irdischen Gravitationstrichters ist mit enormen Energieaufwand verbunden und das kostet. Verdammte Physik!
Auch das von Musk geplante Projekt Hyperloop kommt voran. Studenten der TU München haben einen Preis gewonnen für das Design einer Kapsel, mit denen dieses Verkehrsmittel der Zukunft ausgestattet sein soll.

Warum erwähne ich das eigentlich alles?
Weil es exakt dem entspricht, worüber ich hier gerne mal schreibe, was ich hier beschreibe und das uns eindeutig in den Allerwertesten beißen wird. Also, uns alle, so als Zivilisation. Der Mythos des Fortschritts. Überall entdecke ich in den letzten Tagen wieder wunderschöne Beispiele des Alltags für das, was ich so vor mich hin schreibe in der Bambushütte am Rande der Zivilisation. „Weihrauch und Glitzerstaub“ weiterlesen

Mythopolis

– II –

Wenn King Kong Meister Yoda trifft

„What is today but yesterday’s tomorrow?“
Eugene Krabs

Nach der festen Überzeugung sehr vieler Menschen, oder besser, nach der Doktrin ihres Glaubens, ist also das, was man allgemein Fortschritt nennt, eine unaufhaltsame Macht, die alle Probleme der Menschheit lösen wird.
Es mag und ab und zu Rückschläge geben, aber am Ende wird die Technologie siegen und die Beherrschung des Universums ein weiteres Stück näher an die Hände dieser Horde aus Primatenabkömmlingen heranrücken, die den dritten Planeten einer durchschnittlichen Sonne in unserer Galaxis bewohnen. Selbst ich schreibe „unsere“ Galaxis, ohne zu zögern. So, als hätten wir die ganze Hütte bereits für uns gepachtet.
In dieser Welt kommt die Kavallerie immer rechtzeitig. Das Gute muß das Böse besiegen, ein anderer Ausgang ist nicht denkbar.
King Kong, der Riesengorilla, konnte unmöglich gegen die anfliegenden Helden gewinnen, die hysterisch kreischende Fay Wray womöglich in den Abgrund fallen lassen und danach von der Höhe des Empire State Building seinen Triumph über die Stadt New York hinausschreien. Es ist völlig unmöglich, daß am Ende des Duells mit blitzenden Lichtschwerten Meister Yoda am Boden liegt und seine letzten Worte sind: „Zu langsam ich war.“

Nein, das ist ein Ausgang der Geschichte, der niemals vorkommen kann, denn wir wollen, daß er nicht vorkommen kann.
Der Mythos des Fortschritts hat längst seine Legenden geschaffen und sie schon in die Köpfe unserer Großeltern gesetzt. Ein Charlie Chaplin drehte ,,Moderne Zeiten“, ein Harold Lloyd einen Film wie ,,Ausgerechnet Wolkenkratzer“, das ist der mit der berühmten Szene, in der Lloyd von den Zeigern einer Turmuhr herunterbaumelt.
Beide Filme stehen dem Fortschritt in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhundert sehr skeptisch gegenüber. Auch ein Film wie ,,Metropolis“ von Fritz Lang zeigt völlig andere Untertöne des angeblichen Fortschritts als diejenigen, die man üblicherweise so gerne betont.
Aber wie ich schon letzte Woche sagte, braucht jede Religion ihre Ketzer, ihre Häretiker und bringt automatisch ihre Anti-Religion hervor.

Nirgendwo läßt sich das besser sehen als in diesen alten Filmen. Die Religion des Fortschritts hat in Metropolis den Moloch der durchsynchronisierten Gesellschaft erschaffen. Die Gesellschaft ist geteilt in eine dünne Schicht der Eliten und die große Masse, die alles an Luxus und Wohlstand erschaffen und erarbeiten muß, von dem diese Oberklasse lebt. In Metropolis haben die Reichen und Superreichen ihren 24-Stunden-Tag. Die Zeit der geistlosen Masse, der unermüdlichen Arbeiter im Stock, ist in einen 10-Stunden-Rhythmus unterteilt, eben die Länge einer Schicht.
Wie im 1895 erschienenen Roman ,,Die Zeitmaschine“ von H.G. Wells gibt es auch bei Lang Morlocks und Eloi und die einen fressen die anderen auf. Allerdings leben die Morlocks in Metropolis nicht unter der Erde, sondern in prächtigen Penthouses über der Stadt, weit weg von ihrem Lärm, ihrem Elend und der Sklavenarbeit.
Wells war wenigstens noch so fair, die Bösen unter die Erde zu verbannen und die Eloi ein sorgloses Leben in einem Paradiesgarten führen zu lassen. „Mythopolis“ weiterlesen